Prälat Hesse, ein bis heute unvergessener Seelsorger

kurze Lebensbeschreibung des langjährigen Pfarrers von St. Rochus

Prälat Dr. Erwin Hesse

Pfarrer von St. Rochus (1946-1979)

Am 9. März 2007 wäre Prälat Dr. Erwin Hesse, der Vor-vor-vorgänger unseres jetzigen Pfarrers, 100 Jahre alt geworden. Er wurde am 9. März 1907 in Wien geboren. Sein Vater war ein Mühlenbauingenieur, Nachfahre einer alten Wiener Familie von Orgelbauern. Sein Urgroßvater baute die Orgel in unserer Nachbarpfarre St. Othmar. Die Mutter stammte aus dem Waldviertel.

Zu Beginn des ersten Weltkriegs wurde der Vater von Dr. Erwin Hesse als Artillerist einberufen und auf den Balkan geschickt. Als der Vater einmal für ein paar Tage auf Heimaturlaub war, hatte sein Sohn ein tiefes religiöses Erlebnis. Erwin Hesse hatte in der Religionsstunde wunderbare Medaillen mit dem Bild der Mutter Gottes erhalten. Obwohl der kleine Volksschüler wusste, daß sein Vater nicht religiös war, gab er ihm beim Abschied, als alle weinten und ohne daß es die anderen Familienmitglieder merkten, eine Medaille. Sogleich empfand er das Gefühl, der Vater werde gesund aus dem Krieg zurückkommen. Nun war er so fröhlich, daß ihn nach dem Abschied die Verwandten zur Rede stellten. Jetzt erst verriet der Bub den Grund seiner Fröhlichkeit. Und tatsächlich, es sollte sich bewahrheiten: Der Vater kam von den Kriegsschauplätzen in Serbien und Rußland heil zurück.

Zu den ältesten Erinnerungen des späteren Pfarrers von St. Rochus zählt seine Liebe zu einem großen Marienbild in der Wohnung seiner Eltern im sechsten Bezirk: „Dieses Heiligenbild, welches aus bloßen Modegründen über dem Ehebett meiner nichtgläubigen Eltern hing, erweckte in mir in frühestem Kindesalter, noch vor der Volksschule, den Sinn für unsere Religion. Schon keimte mein Entschluß Priester zu werden. Vom 11. Lebensjahr an betete ich in jeder Kirche, die ich zum ersten Mal betrat, auch in Zeiten persönlicher Krisen bis zum ersehnten Weihetag ...“

Erwin Hesse besuchte das Gymnasium in der Amerlingstraße, an dem er 1925 auch maturierte. Schon in seiner Jugendzeit engagierte er sich im „Jungösterreich“, dem späteren „Bund Neuland“. Immer wieder wurden gemeinsame Bergwanderungen in Österreich unternommen.

Nach der Matura trat er in das Wiener Priesterseminar in der Boltzmanngasse ein und begann das Theologiestudium an der Universität Wien. Gerne nahm er das Angebot an, zwei Semester auf der damals berühmten theologischen Fakultät zu Münster in Westfalen zu studieren. Von Münster aus weiteten Reisen nach Berlin, in katholische Diaspora-Gebiete, sowie Radfahrten durch Holland, Belgien und nach Paris den Blick des jungen Alumnen.

Schließlich wurde Erwin Hesse am 19. Juli 1931, am Festtag des heiligen Vinzenz von Paul, durch den Erzbischof von Wien, Kardinal Piffl, im hohen Dom zu St. Stephan zum Priester geweiht. Die Primiz feierte er, auf seinen eigenen Wunsch hin, im engsten Kreis seiner Verwandten und Freunde bei den Barmherzigen Schwestern in Gumpendorf.

Zunächst wirkte Hochwürden Hesse als Kaplan in Wolkersdorf, danach in Groß-Jedlersdorf und schließlich als Religionsprofessor an der Bundeserziehungsanstalt in Traiskirchen. Im März 1938, nach der Okkupation Österreichs durch die Nationalsozialisten, war er der erste aus dem Professorenkollegium, der die Schule verlassen musste.

Kardinal Innitzer ernannte ihn daraufhin im Herbst zum Hochschulseelsorger in der Wiener Peterskirche. Nach seiner Verhaftung durch die Gestapo am 11. Oktober 1939 wurde Dr. Hesse kurz vor Weihnachten nach Brünn verbannt, wo er namentlich bei verwundeten Theologen eine reiche Wirksamkeit entfalten konnte. Österreichische Offiziere erwirkten seine Ernennung zum Reserve-Lazarett-Pfarrer. Wöchentlich hielt er für sie Bibelabende. Unvergeßlich wurde allen die Erklärung der Offenbarung des Johannes, die er als das starke Trostbuch des Christen in der Bedrängnis erschloß.

Nach seiner abenteuerlichen Heimkehr nach Wien übernahm er im Herbst 1945 den Religionsunterricht im Mädchenrealgymnasium der Ursulinen in der Johannesgasse. Aus Schmerz darüber, daß der größte Teil seiner jungen Freunde gefallen war, brachte er es nicht mehr über sich, in die Studentenseelsorge zu gehen. Im Mai 1946 traf Kardinal Innitzer Dr. Hesse. Sogleich erklärte ihm der Erzbischof: „St. Rochus wird frei. Reichen Sie ein, Sie bekommen es.“ Und so betrat er im August zum ersten Mal die Pfarrkanzlei. Am 5. Jänner 1947 wurde er von Kardinal Innitzer feierlich als neuer Pfarrer von St. Rochus installiert, wo er 33 Jahre lang (bis 1979) wirkte. Dabei war Hesse besonders um neue Wege in der Seelsorge und um die Jugendarbeit bemüht. Unsere Pfarre avancierte zu einer der bis heute lebendigsten Gemeinden in der Bundeshauptstadt. Um die Predigten dieses Pioniers der Seelsorge zu hören, kamen die Menschen oft von weit her. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Pfarrer übernahm Prälat Hesse in den sechziger Jahren eine Zeitlang auch die Leitung des Österreichischen Seelsorgeinstituts der Erzdiözese Wien. Die Kirche in Österreich verdankt unserem ehemaligen Pfarrer wesentliche Impulse im Bereich der Liturgie- und der Jugendbewegung. Mit großem Interesse verfolgte Dr. Hesse das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und die Wiener Diözesansynode (1969-1971). Dort, wo er die Substanz des Glaubens bedroht sah, meldete er sich zu Wort, um Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Schon anläßlich seiner Installation als Pfarrer von St. Rochus bekräftigte er: „Mein Programm ist einfach. Es besteht aus den ewigen Wahrheiten, die im Katechismus stehen. Und ebenso alt sind die Methoden, deren ich mich befleißigen will. Es sind die Methoden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.“

1979 bat Prälat Hesse aus gesundheitlichen Gründen Kardinal König um Pensionierung, die ihm kurz darauf gewährt wurde. In seinem Abschiedsbrief an alle Pfarrangehörigen bringt er zum Ausdruck, daß es für ihn ein großer Trost ist, den denkbar „besten Nachfolger“ gefunden zu haben, die „in vielen Städten bewährte Gebetsgemeinschaft von Weltgeistlichen, ein sogenanntes ‚Oratorium’“.

Den Ruhestand verbrachte Prälat Hesse mit Vorträgen, Predigten, vor allem aber theologischen Arbeiten in Mödling/Hinterbrühl. „Aktiv ist Prälat Hesse, auch als er kein Amt mehr hatte, geblieben, so lange es nur ging. Ein pastorales Genie wie er ist eben niemals ‚a. D.’“, so Dr. Anton Böhm anläßlich des Todes von Prälat Hesse in der „Presse“. Noch am 9. März 1991 durften wir sein Diamantenes Priesterjubiläum mit ihm in St. Rochus feiern. Dabei kam auch seine Missa brevissima pro pace, die er im Jahre 1944 geschaffen hatte, zur Aufführung. Am 1. April 1992 hat Gott Prälat Dr. Erwin Hesse im Alter von 85 Jahren, nach wochenlangem, schweren Leiden, im „Haus der Barmherzigkeit“, zu sich gerufen. Hunderte Gläubige begleiten ihn zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Friedhof Ober St. Veit.

Stets betonte Prälat Hesse: „Wenngleich ich es auch immer als großes Glück empfand, ein echtes Wiener Kind zu sein, so war es doch ein ungleich größeres, als römisch-katholischer Priester leben und wirken zu dürfen.“

von P. Paul Bernhard Wodrazka CO

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Röm.-kath.
Pfarre St. Rochus und Sebastian
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